Kai Gerfelder, Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion in der RVS, zum Teilplan Erneuerbare Energien, Römer Frankfurt 14.06.2019
Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
Sehr geehrte Frau Regierungspräsidentin,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
vor genau einem halben Jahr, am 14.12.2018 haben wir hier den ersten Anlauf unternommen, den abschließenden Beschluss zum „Teilregionalplan Erneuerbare Energien für Südhessen“ zu fassen. Aus verschiedenen Gründen, die heute – wenn auch nur kurz - ein Recht auf Erwähnung haben – ist dies damals gescheitert. Heute, so bin ich sehr zuversichtlich, wird eine große Mehrheit in diesem Hause den vorläufigen Schlusspunkt einer Diskussion setzen, die bereits vor acht Jahren begonnen wurde.
Einiges, was Sie nun von mir hören mögen, habe ich bereits im Dezember gesagt. Vom Grundsatz her hat sich ja auch nicht viel verändert. Ich möchte deshalb zu Beginn, nochmals auf die Historie der heutigen Beschlussfassung eingehen und gegebenenfalls auch etwaige Missverständnisse ausräumen, sofern dies noch möglich ist.
Nach den Ereignissen von Fukushima und der Erklärung von Kanzlerin Merkel, in Deutschland eine Energiewende in Verzicht auf Atom- und Kohleenergie herbei zu führen, haben sich die Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Grünen im Hessischen Landtag unter Federführung des damaligen Hessischen Ministers für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung Florian Rentsch von der FDP im Rahmen des Hessischen Energiegipfels auf einen grundlegenden Umbau der Energieversorgung geeinigt. Zentrales Ziel dieser Einigung ist die 100prozentige Deckung des Endenergieverbrauchs durch Erneuerbare Energien in Hessen bis zum Jahr 2050.
Aus dieser Zielvorgabe wurde als wichtigster Baustein die Nutzung der Windenergie in einem Gesamtumfang von 28 Terrawattstunden im Jahr abgeleitet. Für deren Erzeugung sollen insgesamt zwei Prozent der Landesfläche in Hessen in Anspruch genommen werden. Im Gegenzug sollen die restlichen 98 Prozent der Landesfläche von der Nutzung der Windkraft mittels der so genannten Ausschlusswirkung freigehalten werden.
Mit der zweiten Änderung des Landesentwicklungsplanes Hessen (LEP) vom 11. Juli 2013 wurden diese und weitere Ziele in ein für die Träger der Raumordnung - also für uns - rechtsverbindliches Konzept gegossen. Die Mitglieder der Regionalversammlung Südhessen haben die rechtsverbindlichen Ziele des LEP quasi als Auftrag entgegengenommen, um die Ziele der Raumordnung mit dem heute vorliegenden Teilplan Erneuerbare Energien (TPEE) an die Ziele der Landesentwicklung anzupassen.
Seit dem Jahr 2013 arbeiten die Fachabteilungen beim Regierungspräsidium nunmehr gemeinsam mit der RVS an der Umsetzung dieser Vorgaben. Ein fast 100seitiger Kriterienkatalog, der als „schlüssiges Plankonzept“ die potenziellen Windvorrangflächen in Südhessen nach einheitlichen Maßstäben filtert, wurde mit dem Beschluss der Regionalversammlung über die erste Offenlage im Jahr 2016 Grundstein für die heutige Flächenausweisung.
Unter Berücksichtigung einheitlicher harter und weicher Ausschlusskriterien, die Abstand zur Siedlungsstruktur, Natur- und Denkmalschutz und entsprechend auch Immissionsschutz zur Grundlage haben, sind alle südhessischen Flächenkulissen abgeprüft worden. Diese Einheitlichkeit des „schlüssigen Plankonzeptes“ stellt eine unabdingbare Voraussetzung für die Rechtssicherheit des Teilplans Erneuerbare Energien dar. Sie garantiert gleichzeitig die Bereitstellung von substanziellem Raum, schiebt einer Verhinderungsplanung einen Riegel vor und unterbindet Willkürentscheidungen zu einzelnen Flächen, da alle potenziellen Räume an gleichem Maßstab beurteilt werden.
Im Laufe des Verfahrens sind nunmehr Vorbehalte gegen die Ausweisung von „Windvorrangflächen mit Ausschlusswirkung“ entstanden. In unterschiedlicher Intensität sind diese Vorbehalte zum einen mittels einzelner, schriftlicher Stellungnahmen vorgetragen oder auch mit harten Protesten artikuliert worden. Ich möchte für die SPD-Fraktion in der RVS auch darauf eingehen:
Wir möchten zunächst feststellen, dass wir von einer ordnungsgemäßen Aufarbeitung der eingegangenen Stellungnahmen und einer rechtlich einwandfreien Abwägung durch die zuständigen Mitarbeiter der Fachabteilungen beim RP überzeugt sind. Dies ist eine unabdingbare Voraussetzung für die heutige Beschlussfassung. Da alle nun ausgewiesenen Flächen den gleichen Kriterien unterliegen, gehen wir auch davon aus, dass der Plan rechtsfehlerfrei ist und damit auch Bestand haben wird. Etwaige Zweifel an der formalen Herangehensweise von Seiten der Einwender müssen gegebenenfalls im Klageverfahren geklärt werden. Dies ist im demokratischen Prozess ein normaler Vorgang - wenn es auch wünschenswert wäre, dass es auf Grund der Qualität der Vorlagen nicht zu solchen Klagen kommt.
Gleichwohl wird die Diskussion um den Teilplan Erneuerbare Energien aber auch politisch und inhaltlich abseits der von uns festgelegten Herangehensweise über das „schlüssige Plankonzept“ geführt. Die ablehnende Haltung erstreckt sich von einem fundamentalen „Windkraft nein Danke!“ über ein „Windkraft nicht bei mir vor der Tür!“ bis hin zu gegebenenfalls begründeten Schutzgedanken die etwa dem Wald, dem Artenschutz oder dem Landschaftsbild eine höherrangige Wertigkeit einräumen und deren Inhalte unserer Auffassung nach sicher auch Platz im politischen Diskurs finden sollen und müssen.
Die AfD leugnet den Klimawandel in Gänze und sieht überhaupt keinen Handlungsbedarf. Im Rahmen der Sondersitzung des Odenwälder Kreistages hat sich der dortige AfD-Vertreter gar erdreistet, den Fukushima-Tsunami als von Menschenhand inszeniertes Ereignis der alternativen Energieindustrie zu bezeichnen. Die FDP hat sich eine ebenfalls grundsätzlich ablehnende Haltung zu eigen gemacht, obwohl sie in landespolitischer Verantwortung mit ihrem damaligen Wirtschafts- und Landesentwicklungsminister Rentsch ursächlich für die Ergebnisse des Energiegipfels verantwortlich zeichnet. Beide politischen Akteure ignorieren aber auf der Ebene der Regionalplanung zwei Sachverhalte, die eine solche Haltung der Totalverweigerung zumindest hier in der Regionalversammlung nicht gelten lässt.
Erstens: Wie bereits ausgeführt sind wir von der Hessischen Landesregierung über den Landesentwicklungsplan dazu aufgefordert, einen Plan zu beschließen, der auch das Zwei-Prozent-Ziel erreicht. Sich dieser Aufgabe der Raumordnung und dem dazugehörigen Planungsprozess gänzlich zu entziehen, mutet insbesondere für die selbsternannte Rechtsstaatspartei FDP an wie eine Offenbarungseid. Wir hätten wenigstens erwartet, dass uns von Seiten der Liberalen Alternativen präsentiert werden, die unserem Auftrag gerecht werden.
Zweitens: Inzwischen hat bei vielen sich der Eindruck festgesetzt, dass überall dort, wo durch den Plan Windvorrangflächen ausgewiesen werden, erst die Grundlage für den Bau geschaffen wird. Aber genau das Gegenteil ist der Fall: Bereits zum jetzigen Zeitpunkt sind überall dort, wo die gesetzlichen Rahmenbedingungen wie das BImSchG oder das NatSchG eingehalten werden, Windkraftanlagen nach § 35 BauGB als „Privilegierte Vorhaben“ genehmigungsfähig (siehe Stillfüssel). Dies unter teilweise niedrigschwelligeren Anforderungen als derer des TPEE. Zu Deutsch: Überall dort, wo ein Investor eine Windkraftanlage erstellen will, hat er bereits jetzt ein Recht auf diese Genehmigung. Es gibt keinen Ermessensspielraum, sofern die gesetzlichen Grundlagen eingehalten sind.
Die Verweigerungshaltung der FDP auf regionalplanerischer Ebene bedeutet deshalb nichts anderes, als der Windkraftwirtschaft und den einzelnen Grundstückseigentümern das Feld marktkonform zu überlassen, die so genannte „Verspargelung der Landschaft“ tatsächlich zu begünstigen und den Bürgerinnen und Bürgern dies gleichzeitig als Widerstand gegen die Windkraft zu verkaufen!
Wir sind uns von Seiten der SPD-Fraktion in der RVS durchaus darüber im Klaren, dass ein deutlicher Zubau an Windkraftanlagen kontroverse Diskussionen mit sich bringt. Wir stehen aber weiterhin zum Ausstieg aus Kohle und Atom! Selbstverständlich waren und sind wir auch weiterhin daran interessiert, mit denen im Gespräch zu bleiben, die die Windkraft aus den verschiedensten Gründen ablehnen. Wir möchten aber auch deutlich festhalten, dass durch den heutigen Beschluss die Flächen im Südhessen, auf denen künftig Windkraftanlagen errichtet werden können, auf weniger als 1,6 Prozent inklusive Weißflächen beschränkt oder im Gegenzug mehr als 98,4 Prozent der Fläche von Windkraftanlagen garantiert freigehalten werden. Wir halten gleichzeitig fest, dass der Bau von Windkraftanlagen auf all diesen Flächen bereits zum jetzigen Zeitpunkt möglich und durch den Bundesgesetzgeber gar privilegiert gewesen ist.
Lassen Sie mich an dieser Stelle gleichzeitig etwas ergänzen: Im Rahmen unserer Gespräche und der zahlreichen Eingaben wurde oft der Vorwurf geäußert, der Ballungsraum würde sich auf Kosten der ländlichen Regionen der „Windkraftproblematik“ entledigen. Von Scharfmachern wurde gar geäußert, die „Stimmenmacht des Zentrums“ würde die Peripherie zur „Resterampe“ der energiehungrigen Metropolregion machen.
Meine Damen und Herren, in der Tat entstehen in den Mittelgebirgsregionen mehr Windvorrangflächen als im Kern rund um Frankfurt. Das liegt aber allein daran, dass die Rahmenbedingungen wie dichte Besiedelung im Ballungsraum und höherer Windhöffigkeit in den Mittelgebirgsregionen gar nichts anderes zulassen. Die Bevölkerung dieses Landesmit einer solchen Argumetation derart gegeneinander auszuspielen, halte ich persönlich für verantwortungslos und egoistisch. Allen die so argumentieren, empfehle ich bei Ihrem nächsten Flug darüber nachzudenken, wem sie die Nachtruhe stehlen und heftigste Lärmemissionen zumuten. Allen die so argumentieren, empfehle ich beim Hausbau darüber nachzudenken, wo das Loch in den Wald gerissen wurde, aus dem ihr Kies oder der Ziegelton stammt. Allen die so argumentieren, empfehle ich bei der nächsten Internet-Bestellung darüber nachzudenken, wo ihr Produkt umgeschlagen und auf welchen Autobahnen es transportiert wurde.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
an dieser Stelle erlauben Sie mir sicher auch einen kleinen Diskurs zu den Ereignissen im Dezember des vergangenen Jahres. Kurz vor Beschlussfassung haben neben der technisch bedingten Unvollständigkeit der Unterlagen insbesondere zwei Ereignisse dazu geführt, dass wir die Beratung des TPEE vertagen mussten. Zum einen wurde mit Einführung der Hermeskeil/Taunusquarzit Formationen eine neuen Planungskategorie für die Vorranggebiete ohne Ausschlusswirkung geschaffen, die aus Sicht der Kooperation nicht den Planungskonzeption entsprach – dies haben wir gemeinsam bereinigt. Zum anderen hat das vollkommen verunglückte FAZ-Interview von Regierungspräsidentin Lindscheid vom 30. November 2018 zu einer Verwirrung geführt, die bis heute nicht gänzlich aufgelöst werden konnte. Im Gegenteil es hinterlässt bis heute mehr Fragen als es damals Antworten gab. Ich wiederhole hier nochmal das entscheidende Zitat:
„Es ist nicht Aufgabe einer Fachbehörde der Regionalversammlung einen, um strittige Flächen bereinigten Plan vorzulegen. Die politische Entscheidung über die Flächen hat in der Regionalversammlung zu erfolgen.“
Meine Damen und Herren,
bis heute ist vollkommen offen, was Frau Regierungspräsidentin Lindscheid damit gemeint haben will. Eine Antwort steht immer noch aus. Und an entsprechenden - teilweisen schriftlichen - Nachfragen hat es nicht gemangelt. Bis zum Schluss der Diskussion hat das Regierungspräsidium im Gegensatz zu dieser Aussage der Regierungspräsidentin an der Rechtsauffassung festgehalten, dass jede Flächenstreichung eine Willkürentscheidung zu Lasten des schlüssigen Plankonzeptes darstellt und den Teilplan damit rechtlich angreifbar macht. Geblieben ist einzig Verwirrung und Verwunderung bei politischen Ehrenamtlern und auch beim Bürger.
Im Nachgang allerdings hatte die damals ausgelöste Verwirrung dennoch auch etwas Gutes – resultierte aus den Vorkommnissen der Vorweihnachtszeit doch die Initiative der CDU/SPD-Kooperation die Beratungen aufzuschieben – mit gleich zwei positiven Aspekten. Zum einen wurde die Idee der Bürgerinformationsveranstaltungen geboren, die wir aus heutiger Sicht als wichtigen Beitrag zur Aufklärung über Planungssystematik und Planungskonzeption bewerten. An dieser Stelle binde ich auch meinen Dank an das RP-Team von Herrn Dr. Beck und Frau Güss mit all ihren Mitarbeitern ein. Ihre Präsentation war hervorragend vorbereitet und entsprach voll und ganz unseren Erwartungen. Gleichzeitig geht mein persönlicher Dank an den Vorsitzenden des Ausschusses für Umwelt, Energie und Klima, der - trotz abweichender politischer Grundhaltung zum TPEE - die Interessen der RVS in Gänze neutral und äußerst professionell vertreten hat: „Chapeau – Herr Engemann!“
Der insgesamt positive Eindruck der Infoveranstaltungen wird aber auch hier durch die Tatsache getrübt, dass Frau Regierungspräsidentin Lindscheid sich nicht dazu durchringen konnten, sich von der guten Leistung ihrer Mitarbeiter selbst zu überzeugen und statt dessen von allen Veranstaltungen fern blieb . Sowohl in Ihrer fachlichen Verantwortung als Spitze des RP und in Solidarität mit ihren Mitarbeitern, als auch in Ihrer Funktion als politische Beamtin und Stellvertreterin des Hessischen Ministeriums für Landesentwicklung wäre es in unser aller Augen ihre Pflicht gewesen, dort für die fachliche Seite Rede und Antwort zu stehen und gleichzeitig für die politische Zielsetzung der Landesregierung zu argumentieren!
Einen weiteren positiven Aspekt hatte die Vertagung der Beratung auch hinsichtlich der erneuten Überprüfung artenschutzrechtlicher Belange. Insbesondere im Odenwaldkreis sind nochmals sehr viele Flächen im Sinne des Artenschutzes entfallen. Ein Sachverhalt, der ohne die Beauftragung zur Überarbeitung durch CDU und SPD niemals eingetreten wäre. Und ich kann es Ihnen Herr Kaufmann vor diesem Hintergrund nicht ersparen, heute ihren Vorwurf aus der Sitzung vom 14.12. zurück zu weisen, die SPD habe keine Haltung. Nein, Herr Kaufmann, die SPD hat ihre Arbeit sorgfältig und ohne ideologischen Übereifer erledigt! Auch wird ihre damalige Prophezeiung heute Lügen gestraft, die SPD werde sich am Ende enthalten. Im Gegenteil: Die SPD kann heute mehrheitlich guten Gewissens zustimmen!
Zu guter Letzt halte ich für die Kooperation von CDU und SPD in diesem Hause nochmals fest, dass wir mit dem heutigen Beschluss der uns übertragenen Aufgabe einen Teilplan Erneuerbaren Energien für die Planungsregion Südhessen zu verabschieden gerecht werden. Alle hier in diesem Hause, die sich aus grundsätzlichen Erwägungen nicht an diesem Prozess beteiligen oder zumindest Alternativen aufzeigen, werden ihrer regionalpolitischen Aufgabe nicht gerecht. Sie könnten genauso die Abschaffung der Regionalplanung fordern und dieses in meinen Augen sehr wertvolle, weil in kommunaler Verantwortung getragene, Instrument der Raumordnung in Wiesbaden als Staatsaufgabe zentralisieren.
Ich zitiere hier frei Herrn Engemann aus der Informationsveranstaltung in Erbach: „Wer derzeit die Zielvorgaben des Energiegipfels und die Zielvorgaben des Landesentwicklungsplanes, die als rechtliche Grundlage unseres Planungsauftrages dienen, in Frage stellt, muss diese politische Botschaft an den Landesgesetzgeber also die politische Mehrheit in Wiesbaden adressieren.“
Dies gilt sowohl für die politischen Fraktionen hier im Haus, als auch die Vertreter der Bürgerinitiativen. Solange sich an diesen Vorgaben von Seiten der Landesregierung nichts ändert, werden wir jedenfalls der uns zugewiesenen Aufgabe in der staatlichen Planungshierarchie gerecht. Wir stimmen der Vorlage zu, Einzelvoten werden zu Protokoll gegeben.
In diesem Sinne – Glück auf!