„Die Streuobstwiesen als Leitbiotop der Kulturlandschaft sichern“
Besondere Berücksichtigung in der Landschaftsplanung / Vernetzung regionaler Akteure
Die Gruppen von CDU und SPD in der Verbandskammer des Regionalverbandes FrankfurtRheinMain wollen die Streuobstweisen in der Rhein-Main-Region als Leitbiotop der Kulturlandschaft sichern. Im Rahmen der Erstellung eines Landschaftsplanes sollen die entsprechenden Flächen deshalb eine besondere Berücksichtigung finden. Zudem beabsichtigen die Koalitionspartner den Regionalverband mit einer Steuerungs- und Bündelungsfunktion zu betrauen, um die regionale Akteuren und Initiativen, die sich um das Thema Streuobst bemühen, zusammen zu führen.
Der Vorsitzende der CDU-Gruppe Norbert Altenkamp und sein Pendant SPD-Gruppensprecher Rouven Kötter begründen die Initiative mit dem besonderen Stellenwert der Streuobstweisen: „Streuobstwiesen und die damit verbundenen Produkte haben im Rhein-Main-Gebiet eine besondere Bedeutung. Sie sind geeignet, die Themen Ökologie, Tourismus und Regionalität, abgrenzend zu anderen Regionen, im Sinne eines positiven Alleinstellungsmerkmales und identifikationsstiftend zu besetzen.“
Der Antragstext und die Begründung im Wortlaut:
1. Im Rahmen der Erarbeitung des Landschaftsplanes wird die besondere Bedeutung des Biotopes „Streuobstwiese“ im Gebiet des Regionalverbandes FrankfurtRheinMain als Leitbiotop der Kulturlandschaft im Verbandsgebiet besonders herausgearbeitet.
2. Im Weiteren übernimmt der Regionalverband im Rahmen seiner Zuständigkeiten für den besonderen Landschaftsbestandteil Streuobstwiese eine Bündelungs- und Steuerungsfunktion für die regionalen Aktivitäten und Initiativen zu diesem Thema, das sowohl in ökologischer Hinsicht, wie auch als touristisches Potential geeignet ist, identifikationsstiftend für die Region Frankfurt Rhein Main zu wirken.
3. Das MainÄppelHaus Lohrberg wird als zentraler Ausgangspunkt hierzu intensiv eingebunden.
4. Der Regionalvorstand wird gebeten, mit der Regionalpark GmbH ein Konzept zu erarbeiten, die Routen der „Apfelwein- und Obstwiesenroute“ künftig in das Regionalparknetz einzufügen.
5. In den Landkreisen und Kommunen ist bereits eine Reihe positiver Beispiele zur Förderung der Streuobstwiesen vorhanden (Landschaftspflegeverband MKK, Kelkheimer Modell, Apfeldorf Wehrheim, etc.). Diese "best-practice" Beispiele werden gesammelt und entsprechend für eine etwaige Nachahmung aufgearbeitet.
6. Im ersten, für die Öffentlichkeit konkret sichtbaren Schritt, wird eine Online-Plattform eingerichtet, auf der „verwaiste“ Streuobstwiesen zur Nutzung an Interessierte vermittelt werden.
Begründung:
Streuobstwiesen und die damit verbundenen Produkte haben im Rhein-Main-Gebiet eine besondere Bedeutung. Sie sind geeignet, die Themen Ökologie, Tourismus und Regionalität, abgrenzend zu anderen Regionen, im Sinne eines positiven Alleinstellungsmerkmales und identifikationsstiftend zu besetzen.
Dabei gilt es, die vielen, oft seit Jahren bestehenden positiven Aktivitäten zu bündeln und miteinander zu verknüpfen. Gerade in diesem Bereich gibt es viele „Parallelwelten“ von Initiativen, die alle wichtig sind, jedoch viel zu oft mehr oder weniger nebeneinander agieren. Oftmals fehlt ihnen auch die Unterstützung hauptamtlicher Strukturen. Es ist nicht Ziel, diese Aktivitäten aufzulösen und durch neue zu ersetzen, sondern sie zu stärken und in eine gemeinsame Richtung zu lenken. Dabei gilt es besonders, erfolgreiche Initiativen zu stärken und im Sinne von Best-Practice-Beispielen auf andere Teile der Region zu übertragen.
Von besonderer Bedeutung ist das MainÄppelHaus am Lohrberg, wo sich im Zentrum der Region ein Nucleus herausgebildet hat, der mit einem wichtigen umweltpädagogischen Ansatz, aber auch im Sinne eines anpackenden Naturschutzes Enormes für die gerade dort noch großflächig vorhandenen wertvollen Streuobstbestände leistet. Dieses Zentrum gilt es als auszubauen. Die Strahlkraft dieser Einrichtung soll noch weiter verstärkt werden, um so in die Region wirken zu können (eventuell vergleichbar mit dem Regionalparkportal in Flörsheim).
Da derzeit die Erarbeitung des Landschaftsplanes für den Verband ansteht, ist es geboten, dieses Leitbiotop in den Vordergrund zu stellen. Die Inhalte des Landschaftsplanes (gem. § 9 des Bundesnaturschutzgesetzes, BNatSchG) sind:
1. der vorhandene und der zu erwartende Zustand von Natur und Landschaft
2. die konkretisierten Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege
3. die Beurteilung des vorhandenen und zu erwartenden Zustands von Natur und Landschaft nach Maßgabe dieser Ziele einschließlich der sich daraus ergebenden Konflikte
4. die Erfordernisse und Maßnahmen zur Umsetzung der konkretisierten Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege.
Die herausragende Bedeutung der Streuobstwiese begründet sich durch ihre enorme Biodiversität. Untersuchungen belegen, dass der Artenreichtum einer gepflegten und systemimmanent extensiv bewirtschafteten Streuobstwiese dem tropischen Regenwald annähernd gleich ist. Dabei ist die Streuobstwiese ein reines Kulturprodukt, das ausschließlich durch die anthropogene Gestaltung und Nutzung der Landschaft entstanden ist.
Um sich dem Thema anzunähern, müssen einige Grundlagen verstanden werden:
Die Streuobstwiese ist eine traditionelle Form des Obstbaus. Auf Streuobstwiesen stehen hochstämmige Obstbäume meist unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Arten und Sorten. Damit unterscheidet sich diese traditionelle Landnutzungsform vom modernen, intensiven Obstanbau, der in einigen anderen Regionen eine große Bedeutung hat – weniger in der Region Frankfurt RheinMain.
Obstplantagen sind im Gegensatz zu Streuobstwiesen geprägt von niederstämmigen Obstsorten in Monokultur. Sie werden maschinell und meist intensiv bearbeitet und unterscheiden sich durch Ihre geringere Biodiversität erheblich von den für unsere Region typischen Streuobstwiesen.
Der Streuobstanbau hatte im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine große kulturelle, soziale, landschaftsprägende und ökologische Bedeutung. Durch die Intensivierung der Landwirtschaft sowie durch das Bau- und Siedlungswesen wurden Streuobstwiesen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark dezimiert. Heute gehören sie zu den am stärksten gefährdeten Biotopen Mitteleuropas.
Die Streuobstwiesen entwickelten sich in unserer Region im Zuge der Aufgabe des Weinbaus in weiten Teilen der Region um das Jahr 1800 herum. Der starke Befall der Weingärten durch die Reblaus zerstörte die Reben, und auf den ehemaligen Weinbergen wurden Obstbäume gepflanzt. Die Wiesen wurden beweidet. Zur weiteren Ausweitung des Obstanbaus außerhalb der Siedlungen kam es ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, als infolge der nun möglichen künstlichen Düngung Ackerbau auf nährstoffarmen Böden möglich wurde und im Gegenzug schwer zu bearbeitende Hänge mit Obstbäumen bepflanzt wurden. Für die Menschen damals war die Nutzung dieser Produkte von wesentlicher Bedeutung, da der Alkohol im Wein und im Apfelwein notwendig war, um das Trinkwasser zu desinfizieren und genießbar zu machen. In unserer Region bildetet sich eine Apfelweinkultur heraus, die es sonst nirgends gibt. „Hessischer Apfelwein“ ist eine geschützte geographische Angabe.
Entgegen der gängigen Meinung war jedoch der Apfelwein zu dieser Zeit keinesfalls als Traditionsgetränk dieser Gegend angesehen, sondern eher als ein minderwertiges Gelegenheitsgetränk für arme Leute, das vorwiegend in Heimherstellung produziert wurde. Das Frankfurter Traditionsgetränk war demgegenüber damals vielmehr der hervorragende Wein der Maingegend. Erst mit dem oben beschriebenen Verfall der Weinkultur infolge von Klimaveränderungen, von militärischen Verwüstungen im Zuge der Annektierung der Freien Stadt Frankfurt durch Preußen und der ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa einsetzenden Ausbreitung der aus Amerika eingeschleppten Reblaus begann die Erfolgsgeschichte des Apfelweins als Weinersatz.
Die Errungenschaften im 20. Jahrhundert (Wasserreinhaltung, Intensivierung der Landwirtschaft, Industrialisierung usw.) führten nochmal anfangs des Jahrhunderts zu einer größeren Wiesen- und Weidenutzung in den Obsthainen statt einer Ackernutzung und damit zu einem großen Aufschwung, da die Grünlandwirtschaft lohnender wurde. Ihren Höhepunkt hatte die Streuobstkultur etwa in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, zu einer Zeit, als schon die Obstplantagenwirtschaft begonnen hatte. In der Nachkriegszeit kam es dann zu einer drastischen Intensivierung, Mechanisierung und Maschinisierung der Landwirtschaft. Viele Streuobstbestände wurden im Rahmen von Flurbereinigungen in Ackerland umgewandelt.
Einen Aufschwung erlebten die Streuobstwiesen erst wieder ab den 80er Jahren, als der enorme ökologische Wert der Streuobstwiesen zunehmend wiederentdeckt wurde.
Seitdem entwickelten sich viele positive Aktivitäten hierzu. In den 90er Jahren wurde die „Hessische Apfelwein- und Obstwiesenroute“ ins Leben gerufen, die im gesamten Regionalverbandsgebiet die Themen Tourismus, Ökologie, wirtschaftliche Nutzung der Produkte und regionale Identität miteinander in Verbindung setzen will. Der Apfelwein, als regionale Marke und regionales Produkt mit Alleinstellungsmerkmal, hat wieder eine größere Bedeutung gewonnen.
In dieser Zeit erlebten vielerorts die Obst- und Gartenbauvereine eine neue Blüte, der Lebensmitteleinzelhandel hat die Bedeutung des Produktlabels Regionalität erkannt und der Verbraucher verlangt danach.
Landschaftspflegeverbände haben sich gegründet und versuchen der Verbuschung von Streuobstbeständen entgegenzuwirken, alte Obstbäume fachgerecht zu pflegen und Ersatzpflanzungen vorzunehmen, denn die Streuobstwiese ist ein Biotoptyp, der stetig gepflegt werden muss, um erhalten zu bleiben.
Das Thema der Streuobstwiesen hat das Potenzial, ein wichtiger, positiver, auch entschleunigender, identitätsstiftender Aspekt in einer der dynamischsten Regionen Deutschlands sein!
Ziel muss es sein, die Streuobstwiesen im Rhein-Main-Gebiet zu erhalten, zu sanieren, zu pflegen und möglichst sogar auszubauen. Das heißt, Baumpflege und Entbuschung organisieren sowie Nachpflanzungen schaffen und einen strategischen Ansatz zur Unterwuchspflege (z.B. raumgreifende Beweidungen) zu entwickeln. Damit einhergehend müssen die touristischen Potenziale dieses Themas, auch im Hinblick auf den intraregionalen Tagestourismus, gefördert und ausgebaut werden. Dazu wird ein strategischer, regional übergreifender und Initiativen und Organisationen vernetzender Ansatz nötig sein.
Im ersten Schritt sollte eine Online-Plattform eingerichtet werden, auf der Eigentümer von Streuobstwiesen, die kein Interesse an einer Nutzung oder nicht die Möglichkeit haben, ihre Wiesen zu bewirtschaften, die Flächen anbieten können. Potenzielle Nutzer können so an entsprechende Flächen gelangen.
Foto: MainÄppelHaus Lohrberg