Reden

Rede des stellv. Vorsitzenden der SPD-Fraktion in der RVS, Kai Gerfelder, zum Landesentwicklungsplan Hessen, Römer Frankfurt, 30. Juni 2017

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

die Regionalversammlung Südhessen ist heute dazu aufgerufen zum Entwurf des neuen Landesentwicklungsplanes (LEP) der schwarz-grünen Landesregierung eine Stellungnahme zu beschließen. Wir haben uns daher in den vergangenen Wochen intensiv mit den geschilderten Grundsätzen und Zielen sowie deren Begründungen auseinandergesetzt. Die einzelnen Änderungsvorschläge, Ergänzungen und etwaige Streichungen hier zu thematisieren, würde den Rahmen des Plenums sprengen. Diese Diskussion ins hinreichend in den Ausschüssen geführt. Ich möchte deshalb einige grundlegende Ausführungen zum Planwerk vortragen.

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Durchaus zutreffend umschreibt der Entwurf die landesplanerischen Rahmenbedingen in Kapitel 2. In der Bevölkerungsprognose geht die Landesregierung davon aus, dass im Jahr 2030 etwa 271.000 Personen mehr unser Bundesland bewohnen. Ein genauer Blick zeigt auf, dass sich dieser Bevölkerungszuwachs per Saldo komplett und sogar darüber hinaus in Südhessen abzeichnen wird. Für unsere Planungsregion werden insgesamt 283.000 neue Einwohner prognostiziert. Gleichzeitig wird festgestellt, dass die Bereitstellung von Wohnraum daher weiterhin hohe Priorität in den Wachstumsregionen besitzt und auch die infrastrukturelle Daseinsvorsorge entsprechend gewährleistet sein muss. Auffällig und bezeichnend ist aber bereits hier, dass der Begriff „Verkehr“ im Rahmen dieser landeplanerischen Rahmenbedingungen - immerhin drei Seiten lang - mit keinem einzigen Wort erwähnt wird. Ich werde später darauf eingehen.

Mit der Darstellung der statistischen Werte endet aber auch schon unsere Übereinstimmung mit der Vorlage. Denn was darauf folgt, bietet nur unzureichende Antworten auf die, aus der prognostizierten Entwicklung resultierenden, Herausforderungen. Text, Diktion und Layout des LEP lassen in keinster Weise erkennen, dass die Landesregierung gewillt ist, die raumordnerischen Probleme Hessens insbesondere des Ballungsraumes zu lösen. Der Tenor der folgenden 100 Seiten ist geprägt von Stagnation und Wachstumsbremsen. Wir sind uns durchaus darüber im Klaren, wie wichtig es ist, dem Gedanken der Nachhaltigkeit in allen Lebens- und Politikbereichen zu folgen. Nachhaltigkeit muss auch ihren Platz in der Entwicklung von Wachstumsregionen finden, aber: In diesem LEP wird der Nachhaltigkeitsgedanke dazu missbraucht, die Entwicklung des Wirtschaftsmotors Rhein-Main - 71 Prozent der Bruttowertschöpfung finden in Südhessen statt - abzuwürgen, um den grün-ideologischen Moralanspruch gerecht zu werden. Aber: Die Moral ist nur die Illusion das Richtige zu tun.

So wird auf die starke Zuwanderung in die Ober- und attraktiven Mittelzentren Südhessens mit einer einheitlich für Hessen angeordneten Begrenzung der Flächeninanspruchnahme von 2,5 Hektar pro Tag geantwortet. Um es gleich vorweg zu nehmen: Wir erkennen die Ziele der Bundesregierung, den Flächenverbrauch auf diesen Wert zu reduzieren, vollumfänglich an: Angesichts der stark divergierenden Bevölkerungsprognosen für Hessen kann diese Frage aber nicht mit einem einheitlichen Wert für alle beantwortet werden.

Vielmehr muss die Landesplanung den von ihr selbst benannten Rahmenbedingungen Rechnung tragen, in dem sie die unterschiedlichen Entwicklungstendenzen berücksichtigt und für Südhessen zu Lasten von Mittel- und Nordhessen eine höhere Flächeninanspruchnahme festlegt. Anders ausgedrückt: Der Druck auf Rhein-Main und der daraus resultierende Wohnraumbedarf sowie der Bedarf an Gewerbe und Logistikflächen kann nicht mit Flächenkonversion und Innenentwicklung alleine gemindert werden. Anschauliches Beispiel: Alleine der neu geplante Frankfurter Stadtteil hat einen Flächenbedarf von mehr als 500 Hektar! Hier wird die soziale und ökonomische Verantwortung gegenüber den Menschen der Region zu Gunsten einer grünen Ideologie in reinform geopfert.

Der zunehmende Bevölkerungszuwachs hat auch weitreichende Konsequenzen für den gesamten Verkehrssektor: Bereits jetzt erstickt die Rhein-Main-Region im Verkehr. In diesem Bereich bietet der LEP-Entwurf außer den seit Jahren diskutierten Schienenprojekten keinerlei Antworten auf die drängendsten Probleme. Dem Kapitel Radschnellwege und Fußverkehr wird mehr Platz eingeräumt, als dem Kapitel individualisierter Individualverkehr. Dabei ist Südhessen die wichtigste Transitregion Europas, Frankfurt die Pendler-Hauptstadt Deutschlands. Sowohl das ÖPNV- als auch das Straßennetz überschreiten täglich ihre Kapazitätsgrenzen. Wer morgens im Stau steht oder auf die S-Bahn wartet, fühlt sich mit dem Slogan „Staufreies Hessen“ nur noch verhöhnt. Und lassen Sie mich ergänzen: Dabei ist es vollkommen egal, ob der Pendler in einem Diesel-, einem Hybrid- oder einem Elektroauto sitzt.

Neben die Probleme des Ballungsraumes treten aber auch die Herausforderungen der Peripherie und des ländlichen Raumes. Auch hier gibt es offensichtlich keine Vorstellung, wie eine Stabilisierung gelingen und weiter Entleerungstendenzen zumindest eingedämmt werden können. Es ist leichtfertig und gefährlich anzunehmen, dass in Hessen und insbesondere in der prosperierenden Planungsregion Südhessen ein Ungleichgewichtsszenario unwahrscheinlich sei. Vielmehr muss der Gefahr der Entleerung der Peripherie mit einer entsprechenden Planungskonzeption entgegengewirkt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich habe mit den Themen Siedlungs- und Gewerbeflächen, räumliche Disparitäten sowie dem Thema Verkehr die drei aus unserer Sicht wichtigsten Teilbereiche des LEP angesprochen. Auch in anderen Bereichen sehen wir Handlungsbedarf- wir möchten es aber dabei belassen.

Der LEP streift all diese Schwierigkeiten letztendlich nur und benennt einige Maßnahmen ohne wirklichen planerischen oder strategischen Zusammenhang, in der Hoffnung den Problemen damit Herr zu werden.

Wirklich erforderlich ist aber ein Umdenken. Ein Umdenken, welches gekennzeichnet sein muss durch folgende Leitgedanken:

Der LEP wie auch die Regionalpläne müssen eine raumordnerische Konzeption beinhalten, aus der sich die Aufgaben für die Gemeinden und sonstigen Planungsträger eindeutig ablesen lassen. Es geht dabei nicht nur um die Bereitstellung von Wohnbauland, sondern auch um die dazugehörige Infrastruktur und um eine Orts- und Stadtplanung, die die neuen Wohngebiete vorbildlich integriert.

Zur Erfüllung dieser Aufgaben, dieser Pflichten, bedarf es einer umfassenden Unterstützung der Kommunen durch das Land. Es bedarf einer aktiven finanziellen, fachlichen und organisatorischen Hilfestellung.

Nur so und nicht anders wird es gelingen, die raumordnerischen Aufgaben zu lösen.